Erfahrung und die Weisheit des Alters werden in vielen Kulturen hochgeschätzt, nicht aber bei uns. Schon seit Jahren erleben wir einen ausgeprägten Jugendwahn. Dieser zeigt sich in ganz verschiedenen Bereichen des Lebens, insbesondere auch in der Wirtschaft. Eingebremst wird er nur wenig, derzeit v.a. durch den Fachkräftemangel, an dem viele Branchen, teils mehr, teils weniger ausgeprägt, leiden.

 

Erfahrung ist heute auch objektiv weniger wert…

Um wieder zu einer angemessenen Wertschätzung von Erfahrung zu kommen, sollten wir allerdings erstmal einen nüchternen Blick auf die Welt von heute werfen. Und da erkennen wir schnell, dass Erfahrung in vielen Bereichen auch objektiv nicht mehr viel wert ist. Ganz einfach deshalb nicht, weil in unserer sich so schnell verändernden Welt Wissen, das gestern noch unabdingbar war, heute schon völlig verzichtbar ist. Und genauso wird es mit dem Wissen von heute gehen. Mit dem Unterschied, dass „morgen“ die Metapher für einen tendenziell immer kürzer werdenden Zeitraum ist.

 

Viele Berufe werden sich stark verändern oder gar ganz wegfallen

Erfahrung in Zusammenhang mit beruflichem Knowhow wird heute tatsächlich mit dramatischer Geschwindigkeit wertlos. So wertlos, dass schon in wenigen Jahren eine ganze Reihe von Berufen mehr oder weniger komplett wegfallen werden. Andere werden sich komplett verändern müssen. Dazu zählen übrigens nicht nur „einfache“ Berufe wie Gablerstaplerfahrer oder Packarbeiter. Auch bei akademischen Berufen wird der Veränderungsdruck entsprechend hoch sein.

 

Aber nicht jede Erfahrung wird wertlos

Als verhältnismäßig wenig gefährdet gelten übrigens Berufe, die hohe soziale Fähigkeiten verlangen. Menschenkenntnis, Verhandlungsgeschick und Überzeugungskraft werden auch in Zukunft gefragt sein und sind nur wenig bis gar nicht automatisierbar. Damit haben wir auch schon einen starken Hinweis, dass eben die sozialen Fähigkeiten in einer hochgradig digitalisierten und vernetzten Welt nicht an Bedeutung verlieren. Aller Voraussicht werden sie vielmehr noch stark gewinnen. Das bedeutet auch, dass Erfahrung im Umgang mit unterschiedlichen Menschen sogar zunehmend gefragt sein wird. Dazu gehören insbesondere die interkulturelle Kompetenzen.

 

Fazit: Wir brauchen ein neues Denken

Wir brauchen ein neues Denken. Ein Denken, das einerseits seinen Ausgangspunkt zunächst in einer nüchternen Erkenntnis hat. Der Erkenntnis, dass Erfahrung in vielen Bereichen uns tatsächlich nicht viel weiterhilft oder sogar behindert. Weiterhelfen tut da ein mutiges Annehmen des Neuen, das sich auch mit einer neuen Fehlerkultur verbinden muss. Denn wenn wir immer mehr Dinge anpacken müssen, für die es schlicht keine Erfahrungswerte gibt, müssen wir auch in einem viel höheren Maße bereit sein, Dinge unperfekt an den Start zu bringen und erst nach und nach zu verbessern.

Und wir brauchen ein neues Denken, in dem wir andererseits nützliche Erfahrungen, insbesondere soziale Erfahrungen, mit den völlig neuen und damit erfahrungslosen technischen Errungenschaften des 21. Jahrhunderts verknüpfen. Wie sehr uns das gelingt, wird für jeden Einzelnen und auch die Gesellschaft als Ganzes entscheidend sein, nicht zuletzt in gesundheitlicher Hinsicht.

Markus Frey, Life-Coach, Köln
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