Der Anstieg von Krankheitstagen wegen psychischer Belastung ist weiterhin ungebremst. Waren es im Jahr 2001 noch 33,6 Millionen Fehltage, die in bundesdeutschen Betrieben wegen psychischer Überlastung anfielen, so wurden im Jahr 2010 bereits 53,5 Millionen vermeldet. Anteilmäßig bedeutet dies ein Anstieg von 6,6 auf 13,1 Prozent.

Die Zahlen sind in doppelter Hinsicht dramatisch. Zunächst einmal natürlich für jeden einzelnen Betroffenen, dessen Gesundheit in Mitleidenschaft gezogen wird. Dann aber auch für die Betriebe. Auch die Wirtschaft muss immer mehr erkennen, dass dies nicht mehr einfach als nur individuelles Problem des jeweiligen Mitarbeiters abgetan werden kann. Schon deshalb nicht, weil dadurch Jahr für Jahr hohe Millionensummen aufgebracht werden müssen.

Nicht nur die Arbeitsbedingungen…

Natürlich ist es richtig, wenn von Unternehmerverbänden immer mal wieder darauf hingewiesen wird, dass es keineswegs nur die objektiv gestiegenen Anforderungen, strukturelle Gründe, Mobbing etc. verantwortlich zu machen sind, wenn immer mehr Menschen sich überfordert fühlen. Und es ist auch richtig, dass es immer starke persönliche Dispositionen gibt, die unter vergleichbaren Bedingungen die einen zur Hochform auflaufen und die anderen zusammenbrechen lassen.

…aber auch die Arbeitsbedingungen

Aber es ist eben auch Fakt, dass der u.a. durch die Globalisierung zunehmende Konkurrenzdruck auf allen Hierarchieebenen zu Verhaltensweisen führt, die alles andere als gesund sind. Verhaltensweisen, die sich auf der individuellen Ebene oft zu Gewohnheiten und auf der organisatorischen Ebene zu Arbeitsstrukturen verfestigen, bei denen gesundheitliche Probleme vorprogrammiert sind. Es wird eine Saat ausgesät, die unterschiedlichste „Gifte“ enthält und die schlussendlich sowohl dem einzelnen Mitarbeiter als auch den Betrieben und dem Staat schadet. Und es ist aus verschiedenen Gründen auch kein Zufall, dass insbesondere Leiharbeiter und Angehörige aus den Sozial-, und da insbesondere den Erziehungsberufen, besonders stark betroffen sind.

Konsequenz: eine konzertierte Aktion

Darüber zu diskutieren, ob wir die Globalisierung begrüßen oder verteufeln ist dabei in etwa so sinnvoll wie die Aussage „Ich bin gegen die Schwerkraft“, weil es doch so viele Knochenbrüche aufgrund von Stürzen gibt. Viele Bedingungen der heutigen Zeit müssen wir (mindestens bis zu einem gewissen Grad) akzeptieren. Dass sich die Welt in der wir leben, immer stärker und schneller verändert, können wir nicht verhindern. Was wir aber können ist, uns Gedanken darüber zu machen, wie wir

a)    unsere Belastungsfähigkeit, sprich unsere Gesundheit, in einem umfassenden Sinne stärken
können und
b)    wie wir verhindern können, dass wir uns so belasten, dass die Gesundheit immer häufiger
Schaden nimmt.
c)    Und vor allem: es nicht nur bei den Gedanken zu belassen, sondern konkrete Konsequenzen
aus diesen Erkenntnisse zu ziehen!

Um dies hinzukriegen, müssen wir endlich davon wegkommen, Stress und Burnoutgefährdung so einseitig zu betrachten, wie dies in der öffentlichen Diskussion im Allgemeinen geschieht. Es ist ja so, dass psychische Krankheiten im Arbeitsumfeld stets unterschiedliche Ursachen haben. Es sind eben nicht nur die Umstände, die Globalisierung und der Erwartungsdruck. Aber genauso wenig ist es angebracht, sich zurückzulehnen und zu bemerken, dass jeder selber schauen müsse, wie er mit der sich immer schneller verändernden Welt zurechtkommt.
Angesagt ist also eine Zusammenarbeit aller gesellschaftlichen Kräfte und auch jedes einzelnen, wenn wir eine gesündere und damit auch leistungsfreundlichere Arbeitswelt schaffen wollen. Ich weiß, dass man mir dabei vorwerfen kann, dass dies utopisch, eine Art „frommer Wunsch“ ist. Es ist aber sonnenklar, dass es uns auf allen Ebenen schadet, wenn wir dies nicht hinkriegen. Erst verlieren immer mehr ihre Gesundheit, dann verlieren die Betriebe ihre Gewinne und schließlich wir alle unseren Wohlstand. Dass dies kein Schreckensszenario sondern ein realistischer Ablauf ist, wird jedem schnell klar, der sich auch nur ansatzweise mit den Kosten der psychischen Krankheiten für Wirtschaft und Gesellschaft auseinandersetzt. Noch können wir Gegensteuer geben. Haben wir die Kraft, es zu tun?

Markus Frey
stressfrey(at)googlemail.com
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