Nun ist er also zurückgetreten, der Freiherr zu Guttenberg. Ich muss dabei selber zugeben, dass die ganze Geschichte noch deutlich schwerwiegender war, als ich vor etwas mehr als einer Woche geahnt hatte, als ich schon einmal einen Blogartikel zum Thema veröffentlicht hatte.
Dass am Entzug des Doktortitels durch die Uni Bayreuth kein Weg vorbeiging ist mittlerweile (fast) allen klar und das gleiche gilt wohl auch für den heute Vormittag erfolgten Rücktritt. Aber eine große, wichtige Frage bleibt. Ich meine damit nicht die Frage, ob er mit Absicht betrogen hat. Diese Frage kann letztendlich kein Experte und kein Gericht, sondern nur zu Guttenberg selbst beantworten. Die Antwort bringt allerdings auch niemandem auch nur den allerkleinsten Nutzen.
Scheitern ist Alltag in Deutschland
Die Frage, die sich sowohl für zu Guttenberg persönlich als auch gesamtgesellschaftlich stellt, ist die Frage, wie wir ganz grundsätzlich mit dem Scheitern umgehen. Wie gehen wir mit Menschen um, die zum Beispiel eine Firma an die Wand gefahren (ca. 40‘000 Firmeninsolvenzen im Jahr, dazu etwa 130‘000 Privatinsolvenzen), im Sport gedopt oder in Studium und/oder Beruf eine richtig schlechte Arbeit abgeliefert oder als Politiker einen Skandal verursacht haben? Oder mit Menschen, die als Familienväter oder –mütter gescheitert sind (ca. 180‘000 Ehescheidungen im Jahr)?
Das sind nur einige Beispiele beruflichen oder privaten Scheiterns. Und die Menschen, die an irgendeiner Stelle massiv gescheitert sind und auch große Fehler in ihrem Leben gemacht haben, sind sehr, sehr zahlreich. Auch deshalb hat mich der „Fall zu Guttenberg“ in den letzten Tagen sehr nachdenklich gemacht.
Andere Fehlerkultur
Während es z.B. in den USA relativ schnell heißt „Try again“, ist es im deutschsprachigen Raum für Menschen, die schwere Fehler gemacht haben, sehr viel schwerer, wieder auf die Beine zu kommen. Sehr häufig werden Menschen diese Fehler noch Jahre oder gar Jahrzehnte danach vorgehalten, auch wenn sie sich für diese Fehler längst entschuldigt und sie (so es möglich war) korrigiert haben. Nicht nur bei zu Guttenberg wünschte ich mir, dass wir zu einer anderen Kultur der zweiten Chance kommen. Was meinen Sie?
Markus Frey, Life-Coach
frey(at)stressfrey.de
Guten Tag Herr Frey,
schön, dass Sie das Scheitern an diesem Beispiel thematisieren.
Speziell die erwähnte vorbildhafte amerikanische Stehaufmännchenvariante ist doch häufig leider eher auch nur ein "Positivrücken" der Umstände, die dann aber auch häufig nicht bewältigt werden können, was zum Beispiel die Langzeit-Arbeitslosenzahlen der Amerikaner deutlich ausdrücken. Die Einstellung erscheint mir ein Kern zu sein, nämlich durch einen Fall nicht automatisch ein Looser zu sein, sondern wieder am Beginn eines selbst steuerbaren Aufstiegs zu sein.
An zweiten Chancen wird es Herrn von Guttenberg nicht mangeln, zumal die Bevölkerung sein Verhalten nicht wirklich abstraft, und irgendwie sich der Clevere ja in seinen Mitteln auskennt (Mit Abschreiben eine 2, oder ohne Abschreiben eine 4?, wer kennt diese Situation nicht?). Und Sie haben völlig recht: Wir sollten Ihre Anregungen nutzen und bewusster und häufiger auch verzeihen, damit zweite Chancen möglicher werden.
Viele Grüße aus Mainfranken!
Sehr geehrter Herr Frey,
was an der Geschichte rund um Guttenberg empört, ist nicht das Scheitern. Das erleben wir ja tatsächlich an allen Ecken und Enden des politischen, wirtschaftlichen und auch privaten Lebens. Mit der "Plagiatsaffäre" geht aber nicht ein Scheitern, sondern ein Betrug einher. An einer Dissertation zu scheitern, während des Verfassens zu merken, der Promotion nicht gewachsen zu sein, hätte ihm kaum jemand übel genommen. Hätte er das Promotionsverfahren also abgebrochen, als er gemerkt hat, diesem nicht gewachsen zu sein, statt sich für das so harmlos anmutende "Abschreiben" zu entscheiden, wäre er gescheitert – und hätte natürlich eine zweite Chance verdient. Hier handelt es sich jedoch um Betrug auf wissenschaftlich fatale Art und Weise: Studierende werde bei Plagiaten "nur" in wissenschaftlichen Hausarbeiten mit Exmatrikulation und hohen Geldstrafen belangt.
Vielen scheint der Wert einer Doktorarbeit nicht bewusst zu sein – der Wert sowohl in der Wissenschaft als auch für den Promovenden selbst. Der Doktortitel ist der höchste akademische Grad, den letztlich auch nur die Besten erhalten – kann von diesen dann nicht eine saubere Vorgehensweise erwartet werden? Und ich meine hier nicht, dass alle Dissertationen mit summa com laude bewertet werden müssen – Fehler dürfen auch in einer Dissertation vorkommen, mindern dann ggf. die Note. Aber auch für den Promovenden selbst bedeutet die jahrelange wissenschaftliche Auseinandersetzung und Forschung mit dem Dissertationsthema und endlich, nach langen und anstrengenden Jahren, das Einreichen der abgeschlossenen Doktorarbeit doch so viel und es hängt so viel davon ab – wie kann denn ein (oder gleich mehrere) Literaturhinweis(e) "vergessen" werden in einer Schrift, auf die die jahrelangen Bemühungen fokussiert waren? Die Wissenschaft hat in den letzten Tagen ihren Standpunkt hierzu deutlich gemacht.
Ich begrüße den vehementen Umgang der Öffentlichkeit mit dem Thema ebenso wie zu Guttenbergs Rücktritt, denn sein "Fehler" hat m.E. mit einem Scheitern wenig zu tun. Etwas nicht zu schaffen oder eine falsche Entscheidung getroffen zu haben (bei zu Guttenberg wohl diejenige, eine Promotion anzustreben – nicht die Entscheidung, auf Quellennachweise zu verzichten) und dazu zu stehen ist vollkommen legitim und nötigt nicht nur mir Respekt ab. Zu unsauberen Methoden zu greifen, um es zu vertuschen, kann ich jedoch in keinem Fall nachvollziehen.
Mit den besten Grüßen.
Guten Abend Frau Scheidt,
meine eigene Beurteilung der Geschichte deckt sich mit der ihren weitgehend. Allerdings denke ich, dass letztendlich nur zu Guttenberg selbst beurteilen kann, ob er vorsätzlich betrogen hat, oder ob er einfach schludrig gearbeitet hat. Wissenschaftlich macht das wie gesagt keinen Unterschied. Dass ihm der Doktortitel zu Recht aberkannt worden ist, bezweifelt ja auch niemand mehr, der auch nur halbwegs sachkundig ist.
Ich persönlich tendiere eher zur Variante „Überforderung und Schludrigkeit“ als zu jener des vorsätzlichen Betruges. So denke ich halt, dass ein auch nur einigermaßen klar denkender Promovend nicht ernsthaft annehmen kann, dass eine solche Menge an nicht angegebenen Quellen langfristig unentdeckt bleibt. Auch vermute ich dass heute eher weniger kopiert wird, als zu früheren Zeiten. Nicht weil die Studenten bzw. Promovenden plötzlich moralisch so viel besser geworden sind, sondern weil das Risiko, entdeckt zu werden sehr, sehr groß geworden ist. Wobei ich zugeben muss, dass auch ich keine wirkliche Erklärung dafür habe, dass dies alles nicht schon von den Korrekturlesern entdeckt wurde. Auch würde einer, der vorsätzlich betrügen wollte, einer weiteren Veröffentlichung und der Aufnahme in ein Verlagsprogramm wohl kaum zustimmen, sondern nur die Pflichtexemplare drucken lassen und kein einziges mehr! Aber wie auch immer, mir ist natürlich klar, dass auch dies Spekulation ist. Dass er zu unsauberen Methoden gegriffen hat, „um es zu vertuschen“ ist aber ebenso spekulativ.
Aufschlussreicher Post. Sicher kein Fehler, sich mit dem Thema im detail zu beschaeftigen. Werde sicher die weiteren Artikel lesen.