Vortragsbesucher, Seminarteilnehmer oder Coachees wenden zuweilen ein, dass schriftliche Ziele sie nur noch mehr unter Stress setzen würden, insbesondere wenn diese immer mal wieder nicht erreicht würden. Das einzige, was da wachsen würde, sei die Frustration…
Schriftliche Ziele dienen zunächst natürlich dem Zweck, eine höhere emotionale Verbindung zwischen dem, der sich ein Ziel setzt und seinem Ziel zu erstellen. Wenn wir uns nun gegen eine höhere Verbindlichkeit wehren, dann betrifft das auch unsere Einstellung zum Ziel an sich.
Ein gewisses Maß an Stress gehört dazu
Ein gewisses Maß an Stress gehört bei der Zielerreichung durchaus dazu und ist keineswegs negativ zu sehen. Es ist schon deswegen hilfreich, weil es uns hilft, unsere Kraft zu bündeln und sie nicht in „Seitwärtsenergie“, also Energie, die uns nicht voranbringt, zu verschwenden. Aber es gibt im Zusammenhang mit Zielen in der Tat auch äußerst unproduktiven Stress und den sollten wir schon vermeiden. Er entsteht meistens durch Perfektionismus an der falschen Stelle.
Schriftliche Ziele und Perfektionismus
Perfektionismus ist nicht grundsätzlich schlecht. Von einem Chirurgen, einem Piloten oder auch einem Künstler wird zu Recht erwartet, dass er im Rahmen seiner beruflichen Kerntätigkeit Perfektion anstrebt. An anderen Stellen ist Perfektionismus aber oft auch hinderlich. Zum Beispiel, wenn bei der Zielformulierung gleichzeitig auch der Weg zur Zielerreichung von vorneherein „in Stein gehauen“ ist. Für kreative, ungewöhnliche Lösungen ist dabei oft der Blick verstellt und gerade diese Lösungen sind ja häufig besonders erfolgreich.
Außerdem zeigt sich ungesunder Perfektionismus auch im Umgang mit nicht erreichten Zielen. Natürlich, man will das Ziel zu 100% erreichen, dafür wird das Ziel schließlich formuliert. Wirklich? Es ist sicher richtig, die vollumfängliche Zielerreichung anzustreben und auch alles dafür zu tun, damit das möglich wird. Doch bei allem Bemühen gibt es auch immer wieder Unwägbarkeiten, Dinge, die man wenig bis gar nicht beeinflussen kann, die dem entgegenstehen. Manchmal schafft man es trotz dieser Unwägbarkeiten, manchmal aber eben auch nicht.
Fehler(un)kultur in den Betrieben …
Nun haben wir unsere Kräfte gebündelt und trotz allem Bemühen die Ziele nicht erreicht. Doch gerade jetzt zeigt sich der große Nutzen, den schriftliche Ziele haben. Der Knackpunkt an dieser Stelle ist allerdings, dass wir gelernt haben, damit entsprechend produktiv umzugehen. Leider steht dem oft eine ebenso ungesunde, wie auch weitverbreitete Fehlerkultur, oder besser gesagt „Fehlerunkultur“ entgegen. Bei dieser geht es meistens primär darum, einen Schuldigen für das nicht erreichte Ziel zu finden. Neben vielen anderen Aspekten ist dies auch ein schwerer Managementfehler. Mit solch einem (wie gesagt sehr weit verbreiteten) Vorgehen, wird auch dem nächsten Projekt gleich eine große Hypothek mit auf den Weg gegeben. Damit wird auch die Erreichung des nächsten Ziels, wenn nicht gleich verunmöglicht, so doch von Anfang an stark behindert.
…und auch individuell
Diese Fehler(un)kultur leben viele Menschen auch im Umgang mit sich selbst. Sie haben keinen Blick mehr für das, was sie trotz allem erreicht haben, sondern sehen sich selbst als „Versager“, bei jedem nicht zu 100% erreichten Ziel. Das führt natürlich in eine Unzufriedenheits- und Frustrationsspirale, die nicht zuletzt auch eine zentrale Ursache dafür ist, dass wir nach wie vor eine so hohe Zahl an psychisch bedingten Krankheitstagen zu beklagen haben.
Nicht immer nur draufpacken
Wenn wir ein Ziel gesetzt haben, dann überlegen wir uns in der Regel im nächsten Schritt, was wir tun müssen, um das Ziel zu erreichen. Soweit so gut. Doch ein wichtiger Punkt wird leider nur allzu häufig vergessen. Nämlich derjenige, dass es auch notwendig ist, Entscheidungen zu treffen über die Dinge, die wir in Zukunft lassen wollen. Immer nur neue Ziele zu den alten dazu packen funktioniert einfach nicht! Ohne Entscheidungen über das, was man tut und das, was man lässt, machen Zielformulierungen weder im beruflichen noch im privaten Bereich irgendwelchen Sinn.
Wie es besser geht
Und schließlich brauchen wir eine produktive Kultur des Umgangs mit verfehlten Zielen. Eine Kultur, die es uns erlaubt, auch dann motiviert weiterzugehen, wenn ein Ziel mal verfehlt wurde. Eine Kultur, die (absichtlich herbeigeführte, juristisch relevante Vorgänge ausgenommen) konsequent darauf verzichtet, Schuldige zu suchen und sich selber oder Dritte als Versager zu brandmarken. Sondern eine Kultur, die verschriftete Ziele als Orientierungshilfe versteht, um in einer bestimmten Sache voran zu kommen. Mit solch einer Herangehensweise ist das Arbeiten mit Zielen immer produktiv und vorwärts gerichtet, auch dann, wenn man mal ein Ziel nicht ganz erreicht hat, bzw. in einen zeitlichen Rückstand geraten ist.
Markus Frey, Life-Coach, Köln
info(at)stressfrey.de
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