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Die Einsamkeit der Hochleister ist ein Thema, das weitgehend totgeschwiegen wird. Doch nach seinem Erstrundenaus in Wimbledon hat es Alexander Zverev mit einigen wenigen Bemerkungen aus der Tabuzone geholt. Da war zum Beispiel die Aussage: „Ich fühle mich im Moment im Allgemeinen ziemlich allein im Leben“. Oder auch: „Es ist im Moment ziemlich schwierig für mich, außerhalb des Tennisplatzes Freude zu finden.“

Mit diesen und einigen weiteren Ausführungen hat Zverev uns einen Einblick in seine innere Leere, seiner Suche nach Sinn und Motivation sowie die Einsamkeit eines Hochleisters gegeben. Worte, die aufhorchen lassen. Und das ist auch gut so, denn mit seinem Gefühl der Einsamkeit ist er… alles andere als allein.

 

Epidemische Verbreitung der Einsamkeit

Generell galt bis vor noch nicht allzu langer Zeit die Einsamkeit vor allem als Problem der älteren Generation, das insbesondere mit dem Ausscheiden aus dem Berufsleben einherging. Doch in den vergangenen Jahren wurde sie auch bei jüngeren Jahrgängen immer mehr zum Thema. Nach einer Spitze während der Pandemie sind die Zahlen zwar wieder zurückgegangen. Dennoch zeigen mehrere Untersuchungen, dass auch die Altersgruppe der 18-39jährigen nach wie vor stark vom Thema Einsamkeit betroffen ist.

 

Risikogruppe Hochleister

Besonders gefährdet sind Hochleister aus unterschiedlichen Bereichen. Bei Angehörigen dieser Risikogruppe wird das Phänomen häufig auch als „verborgene Einsamkeit“ tituliert. Dies deshalb, weil es in der Regel vom äußeren Erfolg, vom Image der Stärke und der Kontrolle überdeckt wird. Dies gilt umso mehr, je prominenter eine Person ist.

Menschen, die hohe Ziele anstreben, sind in der Regel mit einer ganzen Reihe Risikofaktoren konfrontiert, die sie auf einen Weg zur Einsamkeit der Hochleister einbiegen lassen können:

 

-Isolation durch Aufstieg

Menschen, die einen Karriereweg gehen, bringen dafür viele Opfer. Opfer, die Menschen, die einen solchen Weg nicht gehen, oft nicht nachvollziehen können. Auch viele Erfahrungen, u.a. der Druck unter dem Hochleister fast immer stehen, werden häufig nicht verstanden. Dies mündet immer wieder in ein Gefühl der Isolation.

 

-Einsamkeit der Hochleister durch Misstrauen

Weit verbreitet unter erfolgreichen Personen ist die starke Zurückhaltung, wenn es darum geht, Vertrauen in andere Menschen zu investieren. Sie verdächtigen ihr Gegenüber oft des Eigennutzes, nicht zuletzt deshalb, weil sie so manche diesbezügliche Erfahrung gemacht haben.

 

-Einsamkeit der Hochleister durch hohes Zeitinvestment

Hochleister, aus welchem Bereich auch immer, investieren in aller Regel einen sehr hohen Anteil ihrer Zeit und ihrer Energie in ihre Ziele. Die langen Arbeitszeiten, oft verbunden mit vielen Reisen und der permanente Druck zur Höchstleistung lassen meistens wenig Raum für das Pflegen sozialer Kontakte. Selbst die Pflege der Beziehungen im engsten Familienkreis fällt vielen schwer.

 

-Personal Brand vs. private Realität

Die meisten erfolgreichen Menschen, v.a. wenn sie stark in der Öffentlichkeit stehen, stehen unter einem permanenten Druck. Dazu gehört insbesondere auch der Druck, jederzeit einem bestimmten Bild im Sinne ihrer Personenmarke zu entsprechen. Ein Bild, das v.a. Selbstvertrauen und Selbstkontrolle transportiert. Einsamkeit und Verletzlichkeit zuzugeben fällt daher vielen schwer. Einerseits, weil es dem eigenen Bild der Stärke widerspricht. Andererseits aber auch, weil es in der Öffentlichkeit zwar von manchen positiv, von vielen anderen aber eben doch eher negativ, d.h. als Schwäche bewertet wird.

 

-Einsamkeit der Hochleister durch Neid und soziale Distanz

Außergewöhnlicher Erfolg entfernt die Menschen oft von einander. Nicht im Sinne eines Naturgesetzes, aber Neid und das Gefühl, dass erfolgreiche Menschen keine Unterstützung brauchen, ist beim berühmten „Mann (oder Frau) von der Straße“ weit verbreitet. Bei den Erfolgreichen führt das in Reaktion oft zu einem Gefühl der sozialen Trennung.

 

-Intellektuelle Hochleistung und Einsamkeit

In einer an der Universität von Utrecht vorgelegten Masterarbeit von M. der Vries (Dubbelden) deuteten die Ergebnisse darauf hin, dass Menschen mit einem außerordentlich hohen IQ von über 130 oft verhältnismäßig wenige Freundschaften pflegen. Häufig besitzen diese Freundschaften auch nicht die gewünschte Qualität. So besteht eine gesteigerte Gefahr, dass das „Anderssein“ und die Wahrnehmung als „anders“ zu Gefühlen der Isolation und der Einsamkeit führen.

Auch weitere Studien legen nahe, dass hochbegabte und sehr erfolgreiche Menschen (was nicht immer miteinander einher geht) häufiger von Einsamkeit betroffen sind. Bei jüngeren Hochleistern ist auch die meistens erhöhte Selbstständigkeit ein Faktor. Außerdem berichtete in 2019 ein Artikel in der Harvard Business Review dass über 50% der CEOs sich einsam fühlen und 61% glauben, dass Einsamkeit ihre Leistung beeinträchtigt.

 

Hochleister, Einsamkeit und Sinn

Wenn man mit Menschen unterwegs ist, die vom Thema der Einsamkeit der Hochleister betroffen sind, dann ziehen diese oft einen Zusammenhang mit der Sinnfrage. Der verzweifelte Ausruf „Für wen oder was mache ich das eigentlich alles?“ wird häufig getätigt. Er macht einerseits deutlich, dass das empfundene Sinngefühl in aller Regel umso geringer ist, je einsamer sich jemand fühlt. Umgekehrt ist es für die meisten Menschen ein sehr wesentlicher Baustein für ihren Lebenssinn, wenn sie erleben, dass sie für andere Menschen etwas sein können.

 

Der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen

Natürlich, es gibt Menschen, die sind beziehungsorientierter und andere, die sind sachorientierter. Aber über alle Unterschiede hinweg kann doch festgehalten werden, dass der Mensch ein „zoón politikon“, ein Gemeinschaftswesen also, ist, wie es Aristoteles vor nunmehr bald 2500 Jahren einst ausdrückte. Von daher ist es für die psychische Gesundheit eines Menschen in aller Regel sehr kritisch zu sehen, wenn auch die Beziehungen zu den Nächsten in großer Radikalität stets einem beruflichen Lebenssinn untergeordnet werden.

 

Sinn im Beruf

Dennoch macht es eine Menge Sinn (sic.!) auch die berufliche Tätigkeit mit einem Sinn zu verbinden. Das ist keineswegs nur den Angehörigen sozialer Berufe oder Künstlern vorbehalten, die häufig in ihrer Arbeit an sich ihren Sinn finden. Aber in einer arbeitsteiligen Welt ist dieser Sinn in aller Regel nur schwer bis gar nicht erkennbar. Das heißt aber keineswegs, dass wir da aufgeben müssten, im Gegenteil. Die Konsequenz daraus sollte vielmehr sein, dass wir es selbst sind, die der jeweiligen Aufgabe, die wir zu erledigen haben, einen Sinn zu verleihen haben.


Schlussgedanken zu Alexander Zverev, Einsamkeit und Sinn

Alexander Zverevs Statement nach seiner Erstrunden-Niederlage in Wimbledon war nicht „nur“ mutig, sondern auch sehr verdienstvoll. Er hat zweitens vielen Hochleistern einen großen Dienst getan, indem er in Worte gefasst hat, was sehr viele von ihnen so oder ähnlich ebenfalls erleben.

Er hat aber erstens auch sich selbst einen großen Dienst getan. Denn seine Ausführungen machten deutlich, dass er zunächst etwas sehr Grundlegendes erkannt hat. Nämlich, dass nicht er es ist, der dem Leben Fragen zu stellen hat, sondern, dass er selbst der Befragte ist. Er selbst hat sich daher auf den Weg zu seinen ganz persönlichen Antworten zu machen. So hat er in der Pressekonferenz auch seinen Willen deutlich gemacht, sich seiner Aufgabe als Vater zu stellen. Oder die Frage zu beantworten, welche Menschen ihm gut tun und welche nicht... und Konsequenzen daraus zu ziehen. Oder sich auf die Suche nach einer Antwort auf die Frage zu machen, was ihn in seinem Leben im tiefsten Inneren motiviert.

Diese und ähnliche Fragen zu beantworten sind Lebensaufgaben, die uns allen früher oder später aufgetragen sind. Manche schaffen es allein, andere ziehen es vor, dies mit einem Sparringpartner, zum Beispiel einem Coach, zu tun. Alexander Zverev erhellt mit seinem Mut und den schon selbst aufgeworfenen Fragen sich selbst und, so ist zu hoffen, vielen anderen den Weg. Einen Weg, der nicht nur innere Leere und innere Einsamkeit zu überwinden vermag. Vielmehr ein Weg, der das eigene Leben auch als sinn- und wertvoll zu erkennen lässt. Ein Weg, der zu etwas führt, was möglicherweise auch Alexander Zverev in dieser Dimension bisher nicht gekannt hat: echte Souveränität und Persönlichkeitsstärke!

Markus Frey