Nein, einen fehlerlosen Bundespräsidenten brauche ich nicht. Aber ein Bundespräsident, der in den vergangenen Wochen etwas souveräner agiert hätte, hätte ich mir in der ganzen Geschichte schon gewünscht. Nicht einen, der in Panik gerät und von „Stahlgewitter“ schwadroniert, sondern einen, der auch dann weiß, was zu tun ist, wenn ihm der Wind ins Gesicht bläst.
„Angst ist ein schlechter Ratgeber“ weiß der Volksmund. Doch genau von diesem „Ratgeber“ ließ Christian Wulff seine Reaktionen (bzw. Nicht-Reaktionen) leiten. Sicher, vieles ist erklär- und verstehbar, denn die Angst war auch durchaus begründet. Andererseits war (wie so oft) letztendlich die Angst noch das weitaus größere Problem, als die Dinge, worauf sich Wulffs Ängste bezogen. Der frühere amerikanische Präsident Truman wusste wohl wovon er sprach, wenn er sagte: „The only fear to fear is fear itself“ (Die einzige Angst, die zu fürchten ist, ist die Angst selber.).
Es ist sicher richtig, dass der Bundespräsident in der ganzen Affäre alles andere als souverän reagiert hat und so auch wenig vorbildhaft war. Aber er hat auch, sozusagen modellhaft, gezeigt, wie sehr die Menschen in Deutschland von der Angst geprägt sind. Eine Prägung, die wahrhaft demokratisch ist, betrifft sie doch die Menschen einigermaßen unabhängig von ihrem sozialen Status. Sie betrifft die Menschen am Band genauso wie jene in den Vorstandsetagen von Politik und Wirtschaft. Und zwar so sehr, dass man schon von einem zentralen Wesenszug der Deutschen (und nicht nur der Deutschen, ich weiß) sprechen muss. Bereits im Jahr 2006 haben zwei Kölner Wirtschaftswissenschaftler den volkswirtschaftlichen Schaden der Angst mit rund 100 Milliarden Euro pro Jahr(!) beziffert.
Ein wesentlicher Aspekt dieser Angst ist die Angst vor Mobbing. Für ca. 1 Million Menschen in Deutschland ist sie sehr real. Für Personen des öffentlichen Lebens erweitert sich diese Angst zu einer Angst durch die Presse öffentlich noch viel nachhaltiger diffamiert und fertig gemacht zu werden. Diese Angst lähmt und/oder führt immer wieder zu äußerst schlechten Entscheidungen, wie wir es eben vorgeführt bekommen haben.
Klar, der Bundespräsident muss sich einige Fragen gefallen lassen. Und es war sicher nicht sehr klug, um nicht zu sagen dumm, dass er zu Beginn der Affäre so lange auf diese Fragen geschwiegen hat. Aber Fragen stellen sollten sich auch die Medien und die Konsumenten dieser Medien… wir alle. Zum Beispiel die Frage, warum wir es bei Personen des öffentlichen Lebens so oft nicht schaffen, einen Sachverhalt zu kritisieren ohne den Betroffenen so zu diffamieren und fertig zu machen, dass seine Chance, jemals wieder beruflich Fuß fassen zu können, so klein wie nur irgend möglich ist. Oder warum einerseits die Vertrauenswürdigkeit des Bundespräsidenten Dauerthema ist, der massive Vertrauensbruch, den es bedeutet, eine persönliche Mailboxnachricht öffentlich zu machen aber kaum jemanden interessiert. Oder warum die Salamitaktik Christian Wulffs viele, die Salamitaktik der BILD-Zeitung aber offenbar kaum jemanden aufregt.
Diese Dinge gehen weit über die „Affäre Wulff“ hinaus. Sie gehen auch über die Verhältnisse von Journalisten, Politikern, Wählern, Medien und Medienkonsumenten hinaus. Ich sehe die ganze Geschichte (und im Übrigen auch den Bundespräsidenten als Person) als prototypisch dafür, was in unserer gesamten Gesellschaft so abgeht. Eine Gesellschaft, die nicht nur den Politikern und den Angehörigen anderer Institutionen immer mehr misstraut, sondern in der sich die Menschen auch „unter Gleichen“ immer mehr misstrauen. Auch eine Folge davon, dass ein „taktisches Verhältnis zur Wahrheit“ wie es ein Journalist dem Bundespräsidenten vorwarf, wohl für die meisten Menschen gilt.
So what? Wenn wir wieder vertrauenswürdigere Politiker haben wollen, dann müssen wir alle wieder lernen, vertrauenswürdig zu handeln. Es muss wieder ein hoher Wert werden, dass Wort und Tat übereinstimmen, auch in den Familien, in den Klassenzimmern, auf den Sportplätzen, in Vertragsverhandlungen, beim Ausfüllen der Steuererklärung usw., bei vertraulichen Gesprächen. Wenn wir das nicht besser hinkriegen als wir es zur Zeit hinkriegen, dann werden wir nicht nur keine besseren Politiker kriegen. Dann wird auch weiterhin die Angst regieren. Mit weitreichenden Folgen für die Politik, für die Wirtschaft… und nicht zuletzt für unsere Gesundheit.
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