Vor einer Woche habe ich an dieser Stelle von Viktor Frankl erzählt. Der berühmte Arzt und Psychologe hat sich nicht „nur“ stets geweigert von einer „Kollektivschuld“ der Deutschen zu sprechen. Schon im KZ hat er erkannt, dass Hass und Unversöhnlichkeit ungeheure Energiefresser sind. Energie, die ihm fehlte, wenn er überleben wollte.

Versöhnungsprojekt Hope

Eine ähnliche Erkenntnis, verbunden mit einer starken christlichen Motivation, stand dem südafrikanischen Erzbischof Desmond Tutu und dem ehemaligen amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter vor Augen, als sie Anfang der 90er Jahre das Projekt HOPE, ein Versöhnungsprojekt für traumatisierte Menschen in Nordirland, ins Leben gerufen haben. Die Federführung lag bei der Stanford Universität, die dem Psychologen Dr. Frederic Luskin die Leitung des Projekts übertragen hat. Es umfasst nicht nur verschiedene Forschungsarbeiten sondern vor allem auch Workshops und Trainings mit direkt Betroffenen des Nordirland-Konflikts. Dr. Luskin hat nun in der Folge mit Menschen, die einen nahen Angehörigen im Krieg bzw. durch terroristische Gewaltaktionen verloren haben, gearbeitet. Er hat mit ihnen ein Vergebungstraining durchgeführt, das große und nachhaltige Wirkung zeigte. Hier wie anderswo wurde Frankls Erfahrung bestätigt, dass durch Vergebung auch schwerste Traumata heilen können.

Das 9-Schritte-Programm der Stanford-University

Im Zentrum des von Dr. Luskin entwickelten und wissenschaftlich überprüften Vergebungstrainings stehen 9 Schritte:

  1. Machen Sie sich Ihre Gefühle bewusst: Rekapitulieren Sie die kränkende Situation sowie Ihre damaligen und aktuellen Gefühle dazu. Sprechen Sie mit vertrauten Personen darüber.
  2. Fassen Sie einen Entschluss: Überlegen Sie, was Ihnen mehr hilft – ein Gespräch mit Ihrem Kontrahenten oder eine Vergebung im Stillen? Verzeihen dient einzig allein Ihrem Wohlbefinden, d.h. Sie sind die Hauptperson!
  3. Versöhnung ist nicht notwendig: Sie müssen das Verhalten des anderen nicht entschuldigen. Verzeihen bedeutet, dass Sie die Kränkung nicht mehr persönlich nehmen.
  4. Sehen Sie der Realität ins Auge: Machen Sie sich bewusst, dass Ihre jetzige Traurigkeit durch Ihre Gedanken an die seelische Verletzung verursacht wird, nicht durch die Kränkung an sich!
  5. Ziehen Sie die Notbremse: Wenden Sie eine beruhigende Atem- oder andere Entspannungsübung an, sobald Ihre Gedanken um alte Verletzungen kreisen. So verhindern Sie die Ausschüttung von Stresshormonen.
  6. Korrigieren Sie Erwartungen: Gesundheit, Liebe, Freundschaft und Wohlstand sind ein Geschenk. Sie können darauf hoffen, es aber nicht vom Leben erwarten oder gar fordern.
  7. Finden Sie neue Wege: Konzentrieren Sie Ihre Energie darauf, Ihre (Lebens-) Ziele auf anderen Wegen zu erreichen, als auf denen, auf denen Sie verletzt worden sind.
  8. Blicken Sie nach vorne! Lecken Sie keine alten Wunden und geben Sie nicht auf diese Weise dem „Verletzer“ weiterhin Macht über Sie. Konzentrieren Sie sich stattdessen auf positive Ziele und die schönen Dinge im Leben.
  9. Verzeihen macht stark: Stellen Sie den heroischen Akt des Verzeihens an den Anfang Ihrer persönlichen Leidensgeschichte. So stärken Sie sich automatisch, wenn Sie an Ihre traurigen Erlebnisse denken oder darüber sprechen.

Dieses mittlerweile vielfach bewährte Programm beinhaltet zwar einen Prozess, aber einen Prozess, der verhältnismäßig kurze Zeit in Anspruch nimmt. Dies deshalb, weil es voraussetzungslos ist. Insbesondere geht es nicht davon aus, dass Heilung oder Versöhnung die Voraussetzung ist, damit Vergebung geschehen kann (Schritt 3). Vielmehr gilt der umgekehrte Weg. Die 9 Schritte der Vergebung sind die Voraussetzung, damit Heilung geschehen und die Seele gesunden kann. Dass es gelingt, haben mittlerweile schon tausende Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Dr. Luskins Vergebungs-Workshops erfahren.

Markus Frey, Life-Coach
frey(at)stressfrey.de