Die mentale Gesundheit und die Sinnfrage stehen in einem engen Zusammenhang. Das ist einerseits generell so, weiß man doch schon seit langem, dass Menschen deutlich belastungsfähiger sind, wenn sie ihr Leben im Allgemeinen und ihre Arbeit im Speziellen mit einem Sinn verbinden können.

Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie.

Friedrich Nietzsche

 

Unterschiedliche Antworten auf die Sinnfrage

Andererseits wird dieser Zusammenhang von mentaler Gesundheit und Sinnfrage um so deutlicher, je angegriffener die mentale Gesundheit ist. Und besonders augenfällig ist es bei Hochleistern unterschiedlicher Bereiche. Sie sind in aller Regel mit einer weit überdurchschnittlichen, sehr hohen Leistungsmotivation unterwegs. Allerdings unterscheiden sie sich sehr darin, woraus sie diese Leistungsmotivation ziehen.

Da sind einmal jene, für die es ein Sinnfaktor an sich ist, hohe überdurchschnittliche Leistungen zu erbringen. Es ist ihnen mehr oder weniger egal, in welchem Lebensfeld es ist. Sie wollen einfach immer und überall zu den Besten gehören und möglichst auch noch der oder die Beste sein. Der Ehrgeiz ist das, was sie mehr als alles andere ausmacht ihr Lebenssinn ist der Erfolg an sich.

Dann gibt es aber auch jene, die sich einem Lebenssinn verpflichtet fühlen, der größer ist, als sie selbst es sind. Das sind jene, die es sich zum Beispiel zur Lebensaufgabe gemacht haben, den Hunger in der Welt, den Klimawandel oder soziale Ungerechtigkeiten zu bekämpfen. Ihr Lebenssinn liegt also nicht im Erfolg an sich. Sie sehen ihn viel mehr im Dienst an dieser einen Sache, eines Gottes oder in der Liebe zu einer bestimmten Person.

 

Sinn fördert die mentale Gesundheit und verschafft Lebensenergie

Menschen, die ihr Leben stark mit einem Lebenssinn verbinden, engagieren sich in aller Regel nicht „nur“ stärker als andere. Gleichzeitig erhalten sie auch immer wieder ein enormes Maß an Lebensenergie zurück, eine echte Spitzenenergie also. Das erklärt, dass viele von ihnen auch in den fortgeschrittenen Jahren ihres Lebens noch enorm viel „Energie im Tank“ haben und selbst im hohen Alter immer weiter machen. Die Verbindung mit dem jeweiligen Lebenssinn prägt ihre Identität. Sie sind dann buchstäblich „mit Leib und Seele“ Ärztin, Künstler, Unternehmerin, Politiker oder was auch immer sie als Identität in ihr Leben übernommen haben.

 

Wenn der Lebenssinn entschwindet…

Lebenssinn verschafft also nicht „nur“ Lebensenergie, er ist auch der größte Baustein für die eigene Identität. Und eine geklärte Identität wiederum ist ein starker Schutz für die mentale Gesundheit eines Menschen. Nun ist es aber durchaus kein Ausnahmefall, dass die Identität und damit der Lebenssinn sowie die mentale Gesundheit auch mal angegriffen wird. Eine Krankheit oder ein Unfall, eine Scheidung, ein verlorener Arbeitsplatz und viele Varianten von Schicksalsschlägen können dazu führen, dass das bisherige Leben, wie es war, nicht mehr weitergelebt werden kann. Dann gilt es, sich neu zu erfinden, was wahrhaftig sehr viel leichter gesagt bzw. geschrieben ist, als getan.

 

…ist die Aufgabe, sich neu zu erfinden

Diese Herausforderung ist eine große Zumutung. Wer gläubig ist, kann dies vielleicht als Aufgabe seines Gottes erkennen und hat dabei den großen Vorteil, dass er mit ihm einen gutmeinenden Ansprechpartner hat. Jedenfalls dann, wenn das Gottesbild von Vertrauen geprägt ist und nicht davon, dass da ein mächtiger Richter jeden auch noch so kleinen Fehler sofort und unbarmherzig bestraft.

Wer nicht gläubig ist, kann das neu erfinden seiner selbst aber auch einfach als Aufgabe sehen, die das Leben an ihn stellt. Und es ist ja tatsächlich auch so, dass diese Aufgabe jeden mindestens einmal, in der Regel aber mehrmals im Leben ereilt. So gehört also die Neuerfindung zu den ganz grundlegenden Lebensaufgaben dazu.

 

Der wertvolle Dienst des Wolfgang Grupp

Eine besondere Herausforderung für die mentale Gesundheit ist der Eintritt in den Ruhestand. Kürzlich hat der prominente Unternehmer Wolfgang Grupp (Trigema) in einem offenen Brief an seine Mitarbeiter öffentlich gemacht, dass er an Altersdepressionen leidet und der einen Krankenhausaufenthalt erforderliche „Unfall“ in Wahrheit ein missglückter Suizidversuch war.

Kurz zuvor hat Grupp in einem Interview mit Focus Online einen Einblick in sein aktuelles Lebensgefühl gegeben: „Ich bin 83 und ich habe alles verschenkt an meine Frau und meine Kinder. Man kann jetzt nur noch auf das Ende warten. Das ist so, und damit muss man sich abfinden.“

Wer den schwäbischen Unternehmer bisher als zielorientierten Macher gesehen hat, musste über diese Worte erschrecken. Sie offenbarten Sinn- und Ziellosigkeitsgefühle, beides deutliche Anzeichen einer angegriffenen mentalen Gesundheit. Dass sich daraus Altersdepressionen entwickeln, kann dann nicht mehr wirklich überraschen.

Dass Wolfgang Grupp sie aber mit derart offenen Worten öffentlich gemacht hat, aber schon. Viele andere in seiner Position hätten es wohl vorgezogen, in so einer Situation zu schweigen und es wäre auch mehr als „nur“ verständlich gewesen. Dass er es nicht getan hat, ist ihm sehr, sehr hoch anzurechnen.

 

Der Ruhestand als besonderer Angriff auf die mentale Gesundheit

Wir haben schon zuvor gesehen, dass der Eintritt in den Ruhestand bei weitem nicht die einzige Herausforderung im Leben eines Menschen in Bezug auf mentale Gesundheit und Sinnfrage ist. Eine besonders große aber allemal. So zeigt die Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS), eine vom Robert-Koch-Institut seit 2008 durchgeführte Datenerhebung, dass ungefähr 10-15% der Menschen über 65 Jahren unter einer behandlungsbedürftigen Depression leiden. Nimmt man noch diejenigen hinzu, die subklinische, depressive Symptome (also nicht die volle Diagnose, aber deutlich beeinträchtigend) entwickeln, dann sind es ungefähr 30%, dieser Altersgruppe der Bevölkerung, die betroffen ist.

Eine weitere wichtige Studie von mentaler Gesundheit und der Frage nach dem Sinn wurde im Mai 2025 im „Journal of Neurology, Neurosurgery and Psychiatry“ veröffentlicht. Darin wurde ein fehlender Lebenssinn als einer der 17 Risikofaktoren für Demenz, Schlaganfall und Altersdepression erkannt. Es handelt sich dabei um ein Meta-Analyse von 59 bereits veröffentlichten Metaanalysen, also sozusagen eine „Meta-Meta-Analyse“. Das spricht folglich für eine besonders gut validierte Datenlage, der darin gewonnenen Erkenntnisse.

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Sich neu erfinden heißt, den Lebenssinn neu definieren

Ob nun als älterer, jüngerer in der Lebensmitte unterwegs seiender Mensch: Wer seine wie auch immer gearteten Herausforderungen in stabiler, mentaler Gesundheit angehen will, der tut gut daran, seinen Lebenssinn zu klären, auch und gerade, wenn ein früherer Lebenssinn nicht mehr gelebt werden kann wie zuvor.

Das kann bedeuten, dass ein Lebenssinn zumindest modifiziert, manchmal auch ganz neu gefunden werden muss. Das ist wie gesagt selten trivial und einfach. Es erfordert eine intensive Beschäftigung mit sich selbst, mit den Werten, die einem weiterhin am wichtigsten sind und mit den persönlichen Ressourcen. Dazu gehören insbesondere den Fähigkeiten, mit Hilfe derer man in Zukunft diese Werte mit Leben füllen will.

 

 

…und mit neuen Zielen zu verbinden!

Ist diese Grundlagenarbeit getan, darf es darum gehen, den neu definierten Lebenssinn auch mit neuen Zielen zu verbinden. Diese Ziele mögen vielleicht weniger ambitioniert erscheinen als frühere Ziele. Sie sollten natürlich immer an die jeweilige Situation angepasst sein, also fordern, aber nicht überfordern. So bündeln Ziele nicht „nur“ die Kraft, sie sind auch starke Lieferanten von Lebensenergie. Womit sich der Kreis zur mentalen Gesundheit wieder geschlossen hat.

Markus Frey