Dr. Thomas Siller

Gastbeitrag von Dr. Thomas Siller, Sterzing (Italien)

So Du hast doch da sicher ein paar Tipps parat …

So oder ähnlich sprechen mich letzthin immer wieder Menschen aus meinem Bekanntenkreis an. Der Grund wiederum liegt meist in anderen Menschen, in deren Bekanntenkreis um die sich die jeweilige Person große Sorgen macht. Sorgen um einen Menschen, der sich und seine mentale und körperliche Überforderung nicht bemerkt oder auch nicht bemerken will.
Natürlich wird man als jemand der selbst auch schon Überlastung (körperlicher und/oder seelischer Natur) am eigenen Leib verspürt hat, sicherlich bevorzugt als Gesprächspartner zu solchen Themen gesucht. Aber die Häufigkeit in der das auch aktuell wieder passiert, deutet für mich schon darauf hin, dass hier unsere Gesellschaft mit Sicherheit noch nicht die Talsohle erreicht hat. Ja, wahrscheinlich stehen wir erst am Beginn einer keineswegs positiven Entwicklung.
Handlungsbedarf scheint gegeben.
Und wenn dann die Leute wissen, dass man hierzu auch noch Seminare gibt, dann spürt man direkt, wie jeder glaubt, der muss doch geradezu Tricks, Heftpflaster oder ähnliches zur Hand haben …

 

Das Heftpflaster gibt es nicht

Aber eben genau dieses Heftpflaster gibt es nicht.
Wie soll man mit jemanden umgehen, bei dem schon Symptome einer Erschöpfung, eines Burn-Outs wie Schlafstörung, Gereiztheit, körperliche Beschwerden wie Rückenschmerzen, Herzrasen o.ä. bemerkbar sind?
Aus eigener Erfahrung kann ich euch sagen: Nur beobachten – Man kann nichts tun!
Als selbst Betroffener weiß ich, dass man in dieser Phase in einer eigenen Welt lebt, diese Symptome überhaupt nicht mitbekommt und von eventuellen Hinweisen von außen ausschließlich genervt ist.

 

Warten… und dann zur Seite stehen

Es bleibt einen nichts anderes, als abzuwarten und zu beobachten, wann dieser Menschen seine eigene Situation SELBST erkennt und ihm dann beistehen.
Und wann/wie erkennt er die?
Aus meiner eigenen Erfahrung, gibt es nahezu nur eine einzige Möglichkeit, dass solchen Personen die Augen geöffnet, bzw. die Scheuklappen heruntergeschlagen werden.
Und das ist die pure ANGST.
Der Leidensdruck und die Angst müssen so groß werden, dass die jeweilige Person SELBER erkennt, dass es so nicht weitergehen kann.
Solche Einschnitte können eben die eigene Gesundheit sein (Angst vor dem Sterben hat der Großteil der Menschen), aber auch Partner die sich trennen/scheiden lassen wollen oder Kinder die sich abwenden.
Ist der Leidensdruck groß genug, dann erst ist der Mensch zu einer Selbstreflexion bereit und wird dann erst sukzessive und in kleinen Schritten Hilfe und Ratschläge annehmen.

 

Trotzdem – Prävention macht Sinn!

Sind dann Ratgeber, Seminare u.ä. komplett umsonst?
Nein.
Alle Informationen, denen jemand im Laufe seines Lebens begegnet ist und die er aufnimmt – in welcher Form auch immer – helfen im Moment der Krise sehr.
Für mich damals war es die reine Panik, zum einen nicht zu wissen was mit mir jetzt passiert und zum anderen nicht zu wissen, ob man mir hier überhaupt helfen kann und wenn ja wie.
Die Methoden, Ansätze und Hilfsmittel die man in Ratgebern und Seminaren zum Thema Burnout-Profilaxe bzw. Work-Life-Balance erhält, sind ein Schatz bzw. eine Art Hausapotheke auf die man dann Zugriff hat, wenn es dann nötig ist bzw. man eingesehen hat, dass es nötig ist.

 

Eine zweite Möglichkeit…

Abschließend möchte ich noch sagen, dass es schon im Prinzip noch eine zweite Möglichkeit gäbe.
Die zweite Möglichkeit wäre, wenn der eigene Vorgesetzte Druck ausübt …
Jetzt werden viele aufschreien und sagen firmeninterner Druck ist bei solchen Personen doch schon ausreichend vorhanden bzw. oft sogar der Auslöser der Krisensituation!?!
Ja, das ist richtig, aber hier gäbe es für Vorgesetzte, sofern sie wirkliche Leadership-Persönlichkeiten sind, die Möglichkeit positiven Druck auszuüben.
Und das aus ganz und gar nicht sozialen Überlegungen heraus, sondern aus rein wirtschaftlichen, profit-orientierten Gründen.
Führungskräfte müssen in Zukunft meiner Ansicht nach verstärkt erkennen – und eben weil hier noch sehr großer Lernbedarf in den Führungsetagen herrscht, ist diese Variante bis dato leider nur der „Juniorpartner“ der beiden Lösungsansätze – wann ein Mensch Leistung erbringen kann und wann nicht.
Nach wie vor wird in unseren Unternehmen Anwesenheit mit Leistung bzw. Leistungsfähigkeit gleichgesetzt bzw. verwechselt. Der Grund ist der, dass Anwesenheit gemessen werden kann – Leistungsfähigkeit eben nicht. Liesse sich diese messen, dann würde sehr schnell klar, dass es immer wieder Momente gibt, wo unser Kosten/Nutzenfaktor nicht positiv ist.
Wenn ein solcher sich selbst ausbeutender Workaholic erkennt, dass er zwar viel Zeit, aber recht wenig Effizienz und noch weniger Effektivität einbringt. Und wenn dann ein Chef dies noch ganz klar kommuniziert, dass er seinen Job eben NICHT gut macht, wenn er nicht endlich mit „geladenen“ Batterien erscheint, dann würde das sicher helfen und schon vor einem körperlichen bzw. seelischen Zusammenbruch ein Umdenken auslösen.
Aber wie gesagt, ist dieser Lösungsweg eben gerade deshalb noch „Juniorpartner“ da es zwar viele Manager, aber sehr wenige Führungskräfte/Leader gibt …
Und hier gilt es zu arbeiten.

Dr. Thomas Siller*

 

*Dr. Siller ist als Marketing- und Vertriebsleiter für ein deutsches Unternehmen der Konsumgüter-/Lebensmittelbranche in Italien tätig.