Seitdem Ralf Rangnick am 22. September als Trainer von Schalke04 zurückgetreten ist, wird das Thema „Burnout“ wieder in vielen Medien diskutiert. Das ist zunächst mal gut so, weil so der Blick auf ein Thema fällt, das längst kein Randthema der real existierenden Arbeitswelt mehr ist. Wenn ich mir allerdings die öffentliche Diskussion so ansehe, dann frage ich mich ernsthaft, ob wir damit der Problematik gerecht werden, d.h. ob wir damit wirklich zumindest einer allgemeinen Verbesserung der gegenwärtigen Situation näher kommen.

Gesellschaftliche Verantwortung ja…
Insbesondere in den vergangenen Wochen und Monaten wurde von verschiedenen Autoren darauf hingewiesen, dass vieles, um nicht zu sagen alles, in Bezug auf Burnout systembedingt sei. Die Gesellschaft an sich, und insbesondere die Volkswirtschaft an sich, würde das eigentliche Problem und der Einzelne letztendlich nur ein Opfer sein, das eigentlich rein gar nichts machen könne.

Nun muss man natürlich schon feststellen, dass die Beobachtung nicht völlig falsch ist. Es gibt tatsächlich eine Menge an strukturellen Bedingungen, die alles andere als gesund sind. Und so manche Erwartungen, die von außen (Vorgesetzten, Mitarbeitern, Kunden etc.) an die einzelnen Berufstätigen gestellt werden, sind es auch nicht. Es ist gut, wenn wir auch das zum Thema unseres Nachdenkens über Burnout machen, v.a. wenn dieses Nachdenken dann auch zu entsprechenden Handlungskonsequenzen führt.

…aber auch Verantwortung des Einzelnen
Was mich an dieser Diskussion allerdings stark stört ist deren „Entweder-oder“-Charakter. Damit kommen wir auf dem Weg zu einer verbesserten Burnout-Prävention keinen Zentimeter weiter. Wenn jemand behauptet, das System der Arbeit  sei „die“ (letztendlich einzige) wesentliche Frage ist dies genauso Unsinn wie die Aussage „Burnout“ sei ein „rein individuelles Problem“, das beispielsweise mit der Firma „gar nichts zu tun“ hätte.
Das Arbeitssystem ist eine, aber nicht „die“ wesentliche Frage. Mindestens genauso wichtig ist, dass sich allzu viele Menschen, auch solche, die nicht 60 Stunden in der Woche arbeiten, einen äußerst ungesunden Lebensstil „antrainiert“ haben. Im körperlichen Bereich ist uns das mehr oder weniger bewusst, Aspekte wie „Bewegungsarmut“ oder „Übergewicht“ bestimmen schon seit Jahren den öffentlichen Diskurs.
Weniger bewusst ist uns im Allgemeinen, dass auch unsere je persönlichen Alltagsphilosophien und Denkgewohnheiten genauso relevant für unsere Gesundheit sind. Und noch weniger, dass beides, der je individuelle Umgang mit Körper und Geist äußerst bedeutungsvoll für unsere Belastungsfähigkeit im Allgemeinen und unsere Burnoutgefährdung im Speziellen sind.

Wir sitzen alle in einem Boot
Wir können uns eine Diskussion „Der Einzelne ist selbst schuld“ vs „Nein, die (Leistungs-)Gesellschaft/Volkswirtschaft etc. ist schuld“ schlicht nicht leisten. Sie bremst jeglichen Fortschritt für eine nachhaltig wirksame Burnoutprävention auf breiter Ebene. Ganz abgesehen davon, dass es selten hilfreich ist, wenn eine Gruppe mit dem „Der-andere-ist-schuld“-Finger auf den jeweils anderen zeigt, im Bereich der Gesundheit schon gar nicht.
Da und dort wird kolportiert, dass insbesondere die Interessen der Wirtschaft und des einzelnen Berufstätigen zu unterschiedlich seien, als dass man da überhaupt auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden können. Das stimmte, wenn überhaupt, höchstens zu einer Zeit, als das Problem, im gesamtgesellschaftlichen Sinne, klein und überschaubar war. Spätestens seit die Technikerkrankenkasse für das Jahr 2008 10 Millionen(!) Krankheitstage bezifferte, können wir das ernsthaft nicht mehr vertreten.
Der Schuss geht nämlich je länger je mehr nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für die Gesellschaft und die Volkswirtschaft als Ganzes und insbesondere auch für den einzelnen Betrieb gewaltig nach hinten los. Eine Studie des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums ging schon für 2005 von Kosten in Zusammenhang mit psychischen Krankheiten in Höhe von 4% des BIPs aus. Umgerechnet auf Deutschland wären das etwa 100 Milliarden Euro im Jahr! Und die Tendenz ist nach wie vor steigend! Dass das auch für den einzelnen Betrieb schnell existenziell werden kann, kann sich jeder leicht selbst ausrechnen.

Eine konzertierte Aktion tut Not
Was dringend notwendig ist, ist eine Art konzertierte Aktion aller gesellschaftlichen Kräfte. Und das schon aus finanzieller Hinsicht. Genauso wie jeder Einzelne erkennen muss, dass sein Körper sein wichtigstes Kapital ist, muss uns auch klar sein, dass wir die Volkswirtschaft als Ganzes und auch den einzelnen Betrieb gefährden, wenn wir uns, unsere Mitarbeiter, Lieferanten, Kunden etc. derart konsequent und nachhaltig überfordern, wie das derzeit der Fall ist. Der Produktivitätsverlust ist durchaus vergleichbar gigantisch, wie es für viele der Verlust an Lebensqualität ist.

Schlussgedanken
Um nicht missverstanden zu werden: auch mir geht es beim Menschsein um weit mehr als nur um die Leistungskraft des Einzelnen und die Wirtschaftskraft unserer Volkswirtschaft. Es geht mir zunächst einfach darum, aufzuzeigen, dass nachhaltig wirksame Burnoutprävention sowohl das Interesse als auch die Verantwortung aller betrifft. Wenn der Wirtschaftsführer einer dauerhaften Überforderung der Menschen in seinem Verantwortungsbereich Vorschub leistet, handelt er genauso gegen sein eigenes Interesse, bzw. das Interesse seiner Firma, wie es der Einzelne tut, wenn er mit sich selbst schlechter umgeht als er es mit seinem Auto je tun würde.
Wenn wir es also erstmal „nur“ aus egoistischen bzw. wirtschaftlichen Gründen schaffen, sowohl unser je individuelles als auch unser gesellschaftliches Denken und Handeln gemeinsam zu überprüfen und zu verändern, haben wir bereits enorm viel gewonnen. Das wäre dann schon eine sehr gute Basis, um weitere Schritte folgen zu lassen.

Markus Frey, Life-Coach
frey(at)stressfrey.de